Für Kiter wird ein orientalisches Märchen wahr: Djerba hat das beste und sicherste





Einsteiger-Revier des südlichen Mittelmeers: Nach zwei Stunden Flug stehst du in einer angenehm temperierten Lagune auf dem Brett und musst dir nie mehr Gedanken um den Heimweg machen. Den schaffst du notfalls zu Fuß - im hüfttiefen Wasser.

Das wäre doch ein ideales Gewässer für Moses gewesen: In der Lagune von Djerba hätte er nicht einmal ein Wunder vollbringen müssen, um sein Volk durchs Meer zu führen: Die Lagune ist stehtief, so weit das Auge reicht: Die Kamele kitzelt die Salzpfütze gerade mal am Bauchfell, den Menschen steht das Wasser höchstens bis zum Hals.

Nach Osten hin wird die Lagune durch eine Landzunge vom offenen Meer abgegrenzt, nach Süden hin verhindert ein Damm den Zufluss frischen Meereswassers. Dieser Damm ist seit 2000 Jahren Djerbas Nabel zum Festland und ein steinernes Monument des Kolonialismus: Auf seinen Felsbrocken schleppten Römer, Araber, Türken und Franzosen Handelsware nach Djerba, um sie von dort nach Europa zu verschiffen.

Ökonomisch war der salzige Binnensee nur ein Fischweiher, in dem die Einwohner Jahrtausende im trüben fischten.

Heute könnte Djerbas Fußbad eine ganz neue Klientel anlocken - die Menschen mit den seltsamen Drachen an den Schnüren, die als Fabelwesen zwischen Wasser und Himmel schweben. Wenn sie einschlagen wie Pelikane bei der Fischjagd, haben sie genügend Wasser unterm Brett, um nicht im Schlick einzustechen. Wenn diese Mutanten aus Mensch und Vogel Probleme mit ihrem stoffbespannten Flügel haben, können sie zu Fuß nach Hause marschieren wie – Moses im Roten Meer. Bodydrag und Wasserstart sind hier so anstrengend wie die Tubes zu entlüften. Der Kiteschüler pflügt durchs 25 Grad warme Wasser und hat notfalls immer Bodenkontakt. Als Peilmarke kann er die Ruine eines Castells verwenden, als Anfeuerung die Hupen der Autos auf der nahen Straße missdeuten – und als Sicherheit das Schulfahrzeug am Ufer betrachten, das den verblasenen Kite-Eleven kurz vor dem Römerdamm wieder abholt ins Reich der Mitte.





Das Ufer ist eigentlich eine riesige Fläche, auf der etwa 100 ahnungslose Kiter ihre Schirme planlos starten könnten. Mit Vernunft und Können haben also 500 Kiter am Wassersaum Platz.

Da werden die Buggyfahrer, die der Winter aus ihren ost- und nordfriesischen Paradiesen vertreibt, hellwach: Kann man hier...? Man kann, und man darf. Bei Flut sind einige Strand-Flächen benetzt, bei Ebbe gibt`s Platz wie auf einem tunesischen Schott in der Sahara.

Wüstenatmosphäre herrscht tatsächlich noch an der Lagune, die touristische Zivilisation ist kilometerweit entfernt. Der Besitzer eines großen Wassersport-Centers, Günter Schwerfeld, will in den nächsten Monaten eine kleine Station mit Duschen aufbauen – wenn Allah, der Gouverneur, das Kismet und George W. B. (Georgy goes to Hussein?) das Investment zulassen.

Und wie sieht es mit dem zweiten Rohstoff aus, den die Kiter brauchen? Gibt's in der Lage denn auch genügend Treibstoff?

Leider ist die Sahara 300 Kilometer entfernt und wirkt mit ihrem Hitzetief nicht mehr so kräftig wie in Marokko oder am Roten Meer. Und das Gebirge, das den Wind Venturi-artig verstärken könnte, liegt auch zu weit entfernt. Die nordtunesischen Tiefdruckfronten schließlich, die das Cap Bon bei Tunis durchfegen, kommen im Süden auch mit gebremster Kraft an. Immer wenn der tunesische Wetterbericht - vier und mehr Beaufort - ankündigt, gilt das eher für die nördlichen Gefilde. So lebt die Dattelinsel von einer lokalen Thermik, die nach großen Schirmen verlangt. Abdel, der Kitelehrer, verspricht deshalb – ganz ohne landestypische Arabesken:

Im Frühjahr darf man mit Nordostwinden der Stärke drei bis fünf rechnen. Dieser Wind weht in der Lagune allerdings ablandig, ist dort zwar stärker, aber auch böig. Der Sommer ist geprägt durch südliche bis südöstliche Winde, die auch mal auf Nordost drehen können und drei bis vier Beaufort stark werden. Der Herbst ähnelt dem Sommer. Im Frühjahr und Sommer fegt an etwa zwei bis drei Tagen im Monat der Scirocco über die Insel, jener Wüstenatem, der bis zu 50 Grad heiß werden kann und die Luftfeuchtigkeit bis auf zehn Prozent reduziert - das kleine Eiland stöhnt, und die tunesischen Brauereien jubeln über den Durst der Ungläubigen.

Die Monate Juni bis November darf man also ruhig als Freiluftmesse für fliegende Hauszelte verstehen: Unter 15 Quadratmeter (ausgelegt) ist man auf Djerba eindeutig underdressed.

Der Winter bringt nicht nur frische, sondern auch bewegte Luft. Drei bis viermal in der Woche faucht der Ost bis Nordostwind (in der Lagune voll auflandig) und rüttelt an den Dattelpalmen. Abdel empfiehlt für diese Jahreszeit acht bis zwölf Quadratmeter, wir empfehlen etwas mehr Tuch - Tangas sind in Tunesien auch in der Luft nicht empfehlenswert.

Die Lufttemperaturen im Winter sind für abgehärtete Nordlichter kein Problem - mittags wird's etwa 17 bis 19 Grad warm, in der Nacht freilich ziehen auch sie sich einen Sweater über: Bis auf neun Grad kann das Thermometer fallen. Kurz-Arm-Neo ist ausreichend.

Im Lernlabor der Lagune wird's den Experten unter den Djerba-Fliegern irgendwann allerdings langweilig: Sie gieren nach Wellen. Südlich des Hotels Calimera (unter der Leitung des Österreichers Peter Edler, früher selbst begeisterter Windsurfer) hat die tunesische Tourismus-Meile eine Zahnlücke und bietet deshalb viel Platz für Kite-Starts und Landungen. Ein kleiner Stehbereich macht auch das Relaunch-Training zum Vergnügen.

Djerba la Douce, Djerba die Süße, nennen die Franzosen das 24 auf 28 Kilometer große Eiland, das eigentlich mit der Wüste so viel gemein hat wie ein Araberhengst mit einem Muli: Durch die Palmen wirken die weiß getünchten Häuser und Villen wie ein orientalische Märchen: Djerba hat alles außer Wasser, das für die über 100 Hotels über eine dicke Pipeline vom Festland importiert wird.

Islamistische Ideologien dagegen werden am Grenzposten des Römerdamms möglichst aus dem Verkehr gezogen. Angst haben die Touristen hier nur - vor Sonnenbrand.